20.11.2014 Adventsbräuche

Prof. Dr. Mezger im Abt-Gaisser-Haus über Advents- und Weihnachtsbräuche

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Villingen-Schwenningen (mt).

Zur letzten Vortragsveranstaltung des Geschichts- und Heimatvereins Villingen in diesem Jahr war der Ewald-Huth-Saal im Münsterzentrum am vergangenen Donnerstag fast bis zum letzten Platz ge-füllt. Der scheidende Vorsitzende Günter Rath begrüßte den Referenten, Professor für Volkskunde und Ethnologie an der Universität Freiburg, als Nachbarn aus Rottweil, den man in Villingen eigentlich nicht mehr vorzustellen brauche. Einleitend beschrieb Mezger das Kirchenjahr als das kulturelle Gedächtnis, in dem die meisten unserer Feste und Bräuche aufgehoben sind. Dabei lassen sich verschiedene Ebenen unterscheiden: in die erinnerte Abfolge des Heilsgeschehen sind vorchristliches antikes Erbe, aber auch Erfahrungen aus der bäuerlichen Lebenswelt eingeflossen. So fällt das Fest Allerheiligen (1. 11.) auf das Patrozinium des ehemaligen Pantheons in Rom, das als Kirche St. Maria zu den Märtyrern dem Gedenken aller christlichen Blutzeugen umgewidmet wurde. Mit dem St. Martinstag (11. 11.) begann eine 40-tägige Fastenzeit, in der nicht geschlachtet werden durfte, außerdem waren Federn als Kissenfüllung und Schreibwerkzeuge begehrt: also ging und geht es an diesem Tag den Gänsen an den Kragen. Im Rheinland erzeugt das bevorstehende Fasten den Ausbruch des Karnevals, der von der 11 als närrischer Zahl noch beflügelt wird. St. Nikolaus (6. 12.) zeigt sich doppelgesichtig: als Wohltäter von Schülern und jungen Frauen und Schutzpatron der Seefahrer - den aber allerlei finstere Gesellen begleiten, die die Kinder verstören und an manchen Orten in den Alpen fast schon die öffentliche Ordnung bedrohen. In Bezug auf Weihnachten entfaltete Mezger anhand von Gemälden van der Weydens und Grünewalds die theologische Tiefendimension: Krippe und Kreuz gehören zusammen, in der Geburt ist das kommende Leiden bereits mit gedacht. Und die Menschwerdung des Gottessohnes rückt die Frage nach seiner Mutter in den Vordergrund. Diese Sicht auf Weihnachten hat im 5. Jahrhundert die Tradition der Marienver-ehrung begründet. Andererseits ist Weihnachten an vielen Orten auch ein unruhiges Fest mit allerhand Schabernack. In der säkularisierten Gesellschaft schieben sich zwei Diskurse in den Vordergrund: Weihnachten als Konsumereignis sowie die  weiße Weihnacht , eine  Alpinisierung des Fests, die auch in der ausgeprägten Weihnachtsfolklore des Alpenraums einen Ursprung hat. Manchmal genügt heute schon eine Postkarte mit verschneiten Almhütten, um weihnachtliche Gedanken und Gefühle auszulösen.

Mit solchen Beispielen machte Mezger deutlich, dass Bräuche vielschichtig sind und der Veränderung unterliegen. Viele sind vom alten römischen Messbuch inspiriert. Es schrieb z.B. für den Martinstag den Schrifttext vom Licht, das nicht unter den Scheffel gestellt werden soll, vor; daher halten die Kinder an diesem Tag Umzüge mit Laternen ab. Manchmal schafft nicht die Legende den Brauch, sondern der Brauch erfordert eine Legende. Weil am Martinstag traditionell Gänse geschlachtet werden, erfand man die Geschichte vom heiligen Martin, der vor Verfolgern in einen Gänsestall flüchtete, aber von ihrem Geschnatter verraten wurde und sich nun in alle Ewigkeit an ihnen rächt. Manche Bräuche auch sind jünger, als man vermuten würde. Der heilige Martin hoch zu Ross kommt aus dem Rheinland und ist erst seit dem Zweiten Weltkrieg im Südwesten unterwegs. Der Adventskranz stammt aus dem 19., der Adventskalender aus dem frühen 20. Jahrhundert. Beide sind übrigens im evangelischen Milieu entstanden, und es dauerte seine Zeit, bis sie auch in den katholischen Bereich Eingang fanden. Gerade die Bräuche der Adents- und Weihnachtszeit, so Werner Mezger abschließend, sind mehr als Kitsch und Kommerz, nämlich ein kulturelles Kapital, und das europaweit. Er stellte den Zuhörern anheim, es gegen Hektik und Konsumtrubel zu nutzen und, statt weihnachtsmannfreie Zonen zu fordern, daraus ein vertieftes Verständnis der Jahreszeit zu entwickeln.
(Michael Tocha, 21. 11. 2104)



Günter Rath und Prof. Dr. Mezger